Dienogest
Dienogest ist ebenfalls ein synthetisches Gestagen aus der Gruppe der 19-Nortestosteron-Derivate (Abb. 1).1
Wirkmechanismus von Dienogest
Im Vergleich zu anderen Vertretern der 19-Nortestosteron-Derivate verfügt Dienogest über eine Cyanomethylgruppe anstelle einer Ethinylgruppe an der Position C17α und im B-Ring zwischen C9 und C10 eine Doppelbindung (Abb. 1). Aufgrund seiner chemischen Struktur verhält sich Dienogest allerdings eher wie ein Abkömmling des Progesterons. Es ist das einzige Nortestosteron-Derivat mit fehlender androgener und stattdessen antiandrogener Partialwirkung. Zusätzlich wirkt es antiestrogen, besitzt jedoch weder antimineralokortikoide noch glukokortikoide Wirkungen. Seine orale Bioverfügbarkeit liegt bei 90–95%.1,2
Im Blut ist Dienogest zu 90% an Albumin gebunden, lediglich 10% zirkulieren in ungebundener Form. Im Gegensatz zu anderen synthetischen Gestagenen bindet Dienogest nicht an das sexualhormonbindende Globulin (SHBG). Aufgrund der höheren SHBG-Spiegel kann somit mehr Testosteron gebunden werden. Dienogest hat neben seiner starken gestagenen Partialwirkung folglich auch eine antiandrogene Partialwirkung. Zudem entfaltet Dienogest direkt am Androgenrezeptor eine hemmende, antiandrogene Wirkung.1,2
Anwendungsgebiete von Dienogest
Dienogest ist eine verbreitete Gestagenkomponente in kombinierten oralen Kontrazeptiva (KOK).
Als orales Kontrazeptivum inhibiert Dienogest die Ovulation ab einer Dosis von 1 mg pro Tag. In Kombination mit einer Estrogenkomponente wird Dienogest aufgrund der resultierenden Effekte (Ovulationshemmung, Veränderungen der vaginalen Sekretion, antiandrogene Wirkungen) primär zur hormonellen Kontrazeption sowie zur Akne-Therapie eingesetzt. Bei Einnahme von Dienogest-haltigen KOK kommt es häufig nur zu kurzen und schwachen Abbruchblutungen. Der Grund: Dienogest verringert aufgrund des starken gestagenen Effekts am Endometrium die proliferative Wirkung des Estrogens. Auch ein Ausbleiben der Blutung ist möglich.2,3,4
Erhöhte Androgenkonzentrationen im Blut können zu einer vermehrten Talgproduktion der Haut und folglich zu Akne führen. Aufgrund der antiandrogenen Eigenschaften sind KOK mit 2 mg Dienogest (doppelte Ovulationshemmdosis) und 30 µg Ethinylestradiol auch zur Behandlung mittelschwerer Akne zugelassen – nach Versagen geeigneter topischer Therapien oder einer oralen Antibiotikabehandlung bei Frauen, die sich für die Anwendung eines oralen Kontrazeptivums entscheiden.3,4,5 Darüber hinaus ist ein vierphasiges Präparat mit Dienogest und Estradiolvalerat verfügbar.6 Dieses ist auch zur Behandlung einer Hypermenorrhö ohne organische Ursache bei Frauen, die eine orale Kontrazeption wünschen, zugelassen.4,6
Auch bei Frauen, die neben Akne unter anderen Androgenisierungserscheinungen wie z. B. einer verstärkten Talgbildung (Seborrhö), fettigem Haar, einem männlichen Behaarungstyp (Hirsutismus) oder Haarausfall (Alopezie) leiden, kann die Anwendung Dienogest-haltiger KOK mit einer Symptomlinderung einhergehen.7
Dienogest wird zudem häufig in Kombination mit Estradiolvalerat im Rahmen einer kombinierten menopausalen Hormonersatztherapie (HRT) eingesetzt. Die Hauptfunktion von Dienogest ist in diesem Zusammenhang die Unterdrückung der estrogeninduzierten Proliferation des Endometriums, welche zur Entwicklung eines Endometriumkarzinoms führen kann. In Deutschland stehen kontinuierlich-kombinierte orale HRT-Präparate mit 2 mg Dienogest und 1 mg oder 2 mg Estradiolvalerat zur Verfügung.3,4
Dienogest wird außerdem auch zur Behandlung der Endometriose eingesetzt und ist in Deutschland als Monopräparat (2 mg Dienogest pro Tablette) für dieses Anwendungsgebiet zugelassen.4,8 Die Wirkung resultiert aus der Hemmung der endogenen Estradiolproduktion, wodurch die Effekte von Estradiol am Endometrium sowie Eisprünge unterdrückt werden. Kontinuierlich eingenommen führt Dienogest zu einem hypoestrogenen, hypergestagenen endokrinen Zustand, der eine initiale Dezidualisierung endometrialen Gewebes, gefolgt von einer Atrophie endometriotischer Läsionen, bewirkt. Unabhängig von seiner gestagenen Wirkung über den Progesteronrezeptor hemmt Dienogest außerdem unmittelbar die Proliferation von Endometrium ähnlichem Gewebe. Diese Wirkungen werden genutzt, um die Endometriose-bedingten Symptome zu verringern.4,9
Für symptomatische Endometriose-Patientinnen ist die Schmerzlinderung von oberster Priorität für den Erfolg der Behandlung. Studienergebnisse zeigen, dass mit dem Dienogest-Präparat eine wirksame Schmerzlinderung erreicht wird.4,8
Mögliche Nebenwirkungen von Dienogest
Die möglichen potenziellen Nebenwirkungen von Dienogest treten insbesondere während der ersten Behandlungsmonate auf. Im weiteren Therapieverlauf nehmen diese meist ab. Die häufigsten unter Dienogest berichteten Nebenwirkungen sind: 3
- Kopfschmerzen
- Brustbeschwerden
- Depressive Verstimmung
- Akne
Zudem kann es zu Veränderungen des menstruellen Blutungsmusters kommen.
Weitere Nebenwirkungen umfassen:3
- Schmierblutungen, unregelmäßige Blutungen
- Amenorrhö
- Übelkeit und Schwindel
- Gewichtszunahme
- Verringerung der Knochendichte bei adoleszenten Patienten
Außerdem sollte berücksichtigt werden, dass Gestagen-Therapien (insbesondere in Kombination mit Estrogenen) das Risiko für Brustkrebs erhöhen können.
Zusätzlich sollte das Risiko für thromboembolische Erkrankungen und andere Gefäßerkrankungen wie venöse Thromboembolien (VTE) beachtet werden.3
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Birkhäuser M. Klinische Bedeutung von gestagenen Partialwirkungen. Gynäkologische Endokrinologie 2006; 4:52–64.
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Ruan X, Seeger H, Mueck AO. (2012). The pharmacology of dienogest. Maturitas; 71(4):337-344.
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Gelbe Liste; Dienogest. Online unter: www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/dienogest_18867. Letzter Zugriff: 13.05.2024.
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Bartsch V. Gynäkologische Anwendungen von Dienogest alleine und in Kombination mit Östrogenen. J Med Drug Rev 2020; 10:1–35.
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Palombo-Kinne E, et al. (2009). Efficacy of a combined oral contraceptive containing 0.030 mg ethinylestradiol/2 mg dienogest for the treatment of papulopustular acne in comparison with placebo and 0.035 mg ethinylestradiol/2 mg cyproterone acetate. Contraception; 79(4):282-289.
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Fachinformation Qlaira® Filmtabletten, Stand: Februar 2022.
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Dienogest-Kontrazeptivum auch zur Therapie mittelschwerer Akne zugelassen. gynäkologie + geburtshilfe 2016; 21: 53.
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Fachinformation Visanne® 2 mg Tabletten, Stand: April 2020.
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Schäfer S. Indikationen zur medikamentösen Therapie bei Endometriose. gynäkologie + geburtshilfe 2020; 25:20–23.