Estriol im Überblick

Hinsichtlich seiner Funktionen ist Estriol im Vergleich zu Estradiol als schwaches Estrogen anzusehen.1 Estriol kommt vor allem bei der Behandlung postmenopausaler Frauen zum Einsatz.


Wo wird Estriol gebildet?

Estriol wird hauptsächlich während der Schwangerschaft in der Plazenta synthetisiert und wird deswegen auch häufig als Schwangerschaftsestrogen bezeichnet.2 Zudem wird es in geringen Mengen in der Leber, den Ovarien und der Nebennierenrinde gebildet.3

Abbildung 1: Strukturformel von Estriol.

Wie wird die Bildung von Estriol reguliert?

Estriol gilt als Abbauprodukt der Estrogene Estradiol und Estron. Estriol kann jedoch durch die Aromatase auch direkt aus Dehydroepiandrosteron (DHEA) gebildet werden. Während einer Schwangerschaft erfolgt die Estriolsynthese der Plazenta aus vom Fötus gebildeten Vorstufen. Dabei wird Dehydroepiandrosteronsulfat (DHEAS) aus der fetalen Nebenniere in der Leber zu 16-Hydroxy-DHEAS umgewandelt. In der Plazenta wird es schließlich durch die Aktivität zweier Enzyme, der Sulfatase und der Aromatase, in Estriol umgewandelt und in den Blutkreislauf der Mutter aufgenommen. Es kommt von der achten Schwangerschaftswoche bis kurz vor der Geburt zu einem kontinuierlichen Anstieg des Estriols.4

Durch eine Serum- oder Urinprobe der Mutter können Rückschlüsse auf den Estriol-Hormonspiegel und so auch auf den Gesundheitszustand des Fötus gezogen werden.5 Verminderte Estriol-Serumwerte im zweiten Schwangerschaftsdrittel wurden als Hinweis auf Neuralrohrdefekte oder Aneuploidien wie der Trisomie 21 (Down-Syndrom) gewertet.9 Diese Methode ist aber durch moderne Techniken der pränatalen Diagnostik in den Hintergrund getreten.

Estriol ist aber auch ein Eliminationsprodukt des Estradiols. Es wird durch eine Hydroxylierung am D-Ring in 16α-Position des Estradiols oder durch Reduktion von 16α-Hydroxyestron gebildet.6

Was ist der Wirkungsmechanismus von Estriol?

Im Blut werden 90 % des Estriols von Albumin und lediglich 1 % des Estriols vom sexualhormonbindenden Globulin gebunden.6

Wie Estradiol wirkt Estriol über die Bindung an Estrogenrezeptoren. Estrogenrezeptoren sind im inaktiven Zustand im Zytoplasma der Zellen lokalisiert und an Hitzeschockproteine gebunden. Die Bindung von Estriol führt zu einer Konformationsänderung und der Freisetzung des Hitzeschockproteins. Der Hormon-Rezeptor-Komplex wandert dann in den Zellkern und kann in Form von Dimeren, also zwei Hormon-Rezeptor-Komplexen, an sogenannte „estrogen-responsive elements“ binden. Durch die Rekrutierung weiterer koregulatorischer Proteine kann im nächsten Schritt die Expression von Zielgenen reguliert werden.1

Estriol ist im Vergleich zu Estradiol ein schwaches Estrogen, weil es über eine geringe Affinität zum Estrogenrezeptor verfügt.7 Im Gegensatz zu Estradiol ist die negative Rückkopplung von Estriol auf die Hypothalamus-Hypophysen-Achse nicht besonders ausgeprägt.6

Estriol kann aber auch estrogenrezeptorunabhängige Wirkungen ausüben. So kann es an Membranrezeptoren binden und den Einstrom von Calcium in die glatte Muskulatur der Arterien und eine Gefäßdilatation bewirken.6

Was sind die Normwerte von Estriol?

Bei nicht schwangeren fertilen Frauen beträgt die Estriolkonzentration im Blutserum durchschnittlich 50 ng/l.10 Estriol wird hauptsächlich während der Schwangerschaft produziert und steigt ab der 8. Schwangerschaftswoche kontinuierlich an. Während im Blutserum der Mutter in der 21. Schwangerschaftswoche 1,3–3,25 μg/l Estriol nachgewiesen werden können, steigt die Konzentration in der 40. Woche auf 6,1–20,1 μg/l an (Tab. 1).8

Tabelle 1: Normwerte von Estriol

 Normwerte Estriol
Nicht schwangere fertile Frauen50 ng/l
Frauen (21. Schwangerschaftswoche)1,3–3,25 μg/l
Frauen (40. Schwangerschaftswoche)6,1–20,1 μg/l

Welche Wirkungen kann eine Estrioltherapie in postmenopausalen Frauen erzielen?

Aufgrund seiner geringeren Affinität zum Estrogenrezeptor weist Estradiol an einer Reihe von Geweben nur etwa 1/10 der biologischen Aktivität von Estradiol auf.1

Die Wirkungen einer Estrioltherapie konnten in einer Vielzahl von Studien mit postmenopausalen Frauen, die unter Estrogenmangel-induzierten Wechseljahresbeschwerden, insbesondere dem urogenitalen Syndrom der Menopause leiden, genauer beschrieben werden.6

Hier hatte Estriol eine positive Wirkung auf die Proliferation und Reifung von Zellen des Vaginal-, Urethal- und Blasenepithels. Zudem förderte Estriol die Vaskularisierung dieser Epithelien und reduzierte das Risiko für Harnwegs- und Vaginalinfektionen.6

Im Gegensatz zu Estradiol hatte Estriol jedoch nur einen geringen Einfluss auf die Knochenmasse, die Produktion von Gerinnungs- und Fibrinolysefaktoren in der Leber und die GnRH-Ausschüttung durch den Hypothalamus.6
 

Auf welche Beschwerden hat Estriol Einfluss?

Estriol kann sich positiv auf eine Vielzahl von Wechseljahresbeschwerden auswirken. In klinischen Studien, in denen Estriol in Form von vaginalen Cremes, Ovula oder Zäpfchen angewendet wurde, konnte eine gute lokale Wirkung im Bereich des unteren Harn- und des Genitaltraktes erzielt werden.6

So führte eine Estriolbehandlung zu einer verbesserten Vaskularisierung und Proliferation des Vaginal-, Urethral- und Blasenepithels und konnte estrogenmangelbedingten atrophischen Veränderungen entgegenwirken. Des Weiteren führte die Behandlung zu einem reduzierten Risiko für Harnwegs- und Vaginalinfektionen.6

Welche Vorteile hat Estriol gegenüber Estradiol?

Im Vergleich zu Estradiol induziert Estriol nur geringfügig die Proliferation des Endometriums und Brustgewebes, sodass eine niedrigdosierte Behandlung mit Estriol kein erhöhtes Risiko für Endometrium- und Mammakarzinome hervorruft. Zudem konnten keine unerwünschten Wirkungen auf die Produktion von Gerinnungs- und Fibrinolysefaktoren durch die Leber identifiziert werden.6

Im Gegensatz zu Estradiol kann Estriol jedoch nicht als Prophylaxe gegen Osteoporose und kardiovaskuläre Erkrankungen eingesetzt werden.1


  1. Aktories, K., Flockerzi, V., Förstermann, U., Hofmann, FB. (2022). Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie. Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag, 13. Auflage.

  2. Dean, C. (2005). Hormone Balance. Adams Media.

  3. Schneider, H., Husslein, P., Schneider, K. T. M. (2000). Geburtshilfe. Springer Verlag.

  4. Pedain. C., Garcia, J. H. (2003). Fallbuch Gynäkologie und Geburtshilfe. Georg Thieme Verlag.

  5. Carroll, G. (2010). Problem-based Physiology. Saunders Elsevier Verlag.

  6. OeKolp® Wissenschaftliche Broschüre (2015). DR. KADE / BESINS, 4. Auflage.

  7. Leidenberger, F. A., Strowitzki, T., Ortmann, O. (2014). Klinische Endokrinologie für Frauenärzte. Springer Verlag, 5. Auflage.

  8. Gressner, A. M., Arndt, T. (2013). Lexikon der Medizinischen Laboratoriumsdiagnostik. Springer Verlag, 2. Auflage.

  9. Haddow, J. E., et al. (1992). Prenatal screening for Down's syndrome with use of maternal serum markers. N Engl J Med 327:588-93.

  10. Gao, W. L., et al. (2015). Measurement of serum estrogen and estrogen metabolites in pre- and postmenopausal women with osteoarthritis using high-performance liquid chromatography-electrospray ionization-tandem mass spectrometry. Braz J Med Biol Res 48:146-53.