Zur Behandlung chronischer Schmerzen werden häufig Opioide eingesetzt. [1,2] Unter längerfristiger Therapie entwickeln dadurch viele Männer einen Testosteronmangel, der häufig einen Opioid-induzierten Hypogonadismus (OPIAD) nach sich zieht. [1,3,4,5] Trotz zahlreicher Symptome bleibt dieser häufig unerkannt. [1,4] Gemäß der Leitlinie der European Association of Urology (EAU) zum männlichen Hypogonadismus soll deshalb bei Männern unter Opioid-Therapie eine Testosteronbestimmung erfolgen. [5] Therapeutisch können betroffene Männer von einer Testosterontherapie profitieren. [1,5]
Opioide: Etablierte Therapieoption bei chronischen Schmerzen
Aufgrund der alternden Gesellschaft ist die Anzahl der Schmerzpatienten in Deutschland in den letzten Jahren stetig gestiegen: Die Deutsche Schmerzgesellschaft geht derzeit von rund 23 Millionen Betroffenen aus, darunter überwiegend ältere, multimorbide Menschen. [6,7] Chronische Schmerzen, also Schmerzen, die seit mindestens 3–6 Monaten über eine ursächliche Verletzung oder Erkrankung hinaus bestehen, stellen dabei ein eigenständiges Krankheitsbild dar. [8] Sie werden meist mithilfe einer multimodalen Therapie behandelt, die sich durch die Kombination verschiedener Behandlungsoptionen auszeichnet. Dazu zählen beispielsweise medikamentöse, physikalische oder psychologische Maßnahmen sowie Bewegungstherapien oder Akupunktur. [7]
Wichtiger Bestandteil der medikamentösen Therapie sind vor allem Schmerz- und Entzündungshemmer sowie Opioide, die als Abkömmlinge des Morphins die potentesten Schmerzmittel darstellen: Anfangs überwiegend zur Behandlung von Tumorschmerzen eingesetzt, hat sich ihre Anwendung mittlerweile auch bei der Therapie chronischer Schmerzen fest etabliert. Als Goldstandard gilt das aus dem Saft des Schlafmohns gewonnene Morphin, zusätzlich werden verschiedene halbsynthetische sowie vollsynthetische Opioide angewendet. [7]
Sinkende Testosteronspiegel unter Opioid-Therapie
Zu den bekannten Nebenwirkungen von Opioiden zählen Magen-Darm-Beschwerden wie Verstopfung, Übelkeit und Erbrechen. [7] Daneben können Opioide jedoch auch das endokrine System beeinflussen: Durch die Hemmung der GnRH (Gonadotropin-Releasing-Hormon)-Sekretion kommt es deshalb bei vielen männlichen Schmerzpatienten zu einer verminderten Testosteronproduktion. [1,3,4]. Dies bestätigt unter anderem die Auswertung von 17 Studien im Rahmen einer Metaanalyse: Hier zeigte sich bei männlichen Patienten unter längerfristiger Opioid-Einnahme (n = 607) eine signifikante Reduktion der Testosteronspiegel um bis zu 50 % gegenüber der Kontrollgruppe (n = 1.417; mittlere Differenz: 5,7 nmol/l; p > 0,0001). Die Suppression der Testosteronproduktion war dabei nicht auf einzelne Wirkstoffe beschränkt, sondern konnte für alle Opioide gleichermaßen nachgewiesen werden. [3]
OPIAD: trotz hoher Prävalenz oft unerkannt
Die Wirkung auf die Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse tritt oft schon nach einer Woche ein und führt – insbesondere bei langfristiger Opioid-Einnahme – bei vielen Männern zu einem sogenannten Opioid-induzierten Hypogonadismus (OPIAD). Die Prävalenz eines OPIAD liegt, in Abhängigkeit von der zugrundeliegenden Hypogonadismus-Definition, zwischen 19 und 86 %, mehrheitlich werden in entsprechenden Studien Werte über 50 % erreicht. Dabei korreliert die Höhe der Opioid-Dosis mit dem Erkrankungsrisiko. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit eines OPIAD unter der Einnahme stark wirksamer Opioide wie Morphin und Fentanyl höher als bei schwächeren Opioiden wie Tramadol und Tilidin. [4] Klinisch tritt der OPIAD durch zahlreiche Symptome wie sexuelle Dysfunktion, depressive Verstimmungen, Hitzewallungen, Osteoporose, Verlust an Muskelmasse, Adipositas und metabolisches Syndrom in Erscheinung, die zu erheblichen Einschränkungen der Lebensqualität führen können. [1,4] Trotz hoher Prävalenz, belastender Symptome und niedriger Testosteronspiegel, die bei den Betroffenen bis auf Kastrationsniveau absinken können, wird der OPIAD als Nebenwirkung einer Opioid-Therapie häufig übersehen oder unterschätzt. [1]
OPIAD: Was gilt es zu beachten und was empfehlen die Leitlinien?
Im Hinblick auf die hohe Prävalenz sollten behandelnde Ärzte bei Männern, die eine Opioid-Therapie über einige Wochen oder langfristig erhalten, stets die Möglichkeit eines OPIAD im Blick behalten. Risikopatienten sollten dementsprechend ausdrücklich über die Nebenwirkungen einer Opioid-Therapie aufgeklärt und im Therapieverlauf unbedingt nach entsprechenden Symptomen befragt werden. Zudem sollten die Testosteronspiegel vor und während einer Opioid-Therapie regelmäßig überprüft werden. [3] Da die Hemmung der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse reversibel ist, kehren die Testosteronwerte nach Absetzen des Opioids in der Regel innerhalb eines Monats wieder auf die Ausgangswerte zurück. [4] Grundsätzlich sollten behandelnde Ärzte zur Vermeidung eines OPIAD nach Möglichkeit auf andere Therapieoptionen zurückgreifen. Sofern sich der Einsatz eines Opioids nicht vermeiden lässt, kann ein OPIAD bei betroffenen Männern gemäß der EAU-Leitlinienempfehlung [5] mittels Testosterontherapie behandelt werden, um die Lebensqualität zu erhöhen. [4]
Der Nutzen einer Testosterontherapie wurde in einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten klinischen Studie an Männern mit chronischen Nicht-Tumorschmerzen und OPIAD untersucht. [1] Nach der Anwendung von 5 g 1%igem Testosteron-Gel (n = 43) bzw. Placebo-Gel (n = 41) einmal täglich über 3 Monate (bei Bedarf Dosisanpassung nach 2 Wochen) zeigte sich trotz der kurzen Behandlungsdauer bereits ein positiver Effekt auf alle untersuchten Parameter: [1]
- Teils signifikante Verringerung der Schmerzschwellen gegenüber Placebo
- Signifikant stärkerer Anstieg des sexuellen Verlangens gegenüber Placebo
- Tendenzieller Anstieg der Lebensqualität gegenüber Placebo
- Signifikante Reduktion des Körperfettanteils gegenüber Placebo
- Tendenzieller Anstieg der Muskelmasse gegenüber Placebo
Fazit
Das Thema Testosteronmangel durch Opioide kann wie folgt zusammengefasst werden:
- Ein OPIAD ist eine häufige Nebenwirkung einer Opioid-Therapie, da alle Opioide die Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse, und damit die Testosteronproduktion, hemmen. [1,3,4]
- Kommt es infolge einer längerfristigen Opioid-Therapie zu einem OPIAD, hat der Patient zwar meist weniger Schmerzen, leidet jedoch stattdessen an Symptomen eines Testosteronmangels. Dennoch wird ein OPIAD von den behandelnden Ärzten oft unterschätzt bzw. nicht erkannt und bleibt folglich unbehandelt. [1]
- Ein OPIAD kann mittels Testosterontherapie behandelt werden, um den damit assoziierten Symptomen entgegenzuwirken. [1,4,5]
- Testosteron scheint zudem auch einen positiven Einfluss auf das Schmerzempfinden zu haben und kann auf diese Weise die Wirksamkeit der Schmerztherapie unterstützen. [1]
- Bei chronischen Schmerzpatienten unter längerfristiger Opioid-Therapie sollte der Testosteronspiegel regelmäßig kontrolliert, nach typischen Symptomen eines Testosteronmangels gefragt und unter Umständen eine Testosterontherapie eingeleitet werden. [2,3,5]
Referenzen
[1] Basaria S et al. Effects of testosterone replacement in men with opioid-induced androgen-deficiency: a randomized controlled trial. Pain 2015;156(2):280-8.
[2] Deutsche Schmerzgesellschaft et al. S3-Leitlinie „Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen - "LONTS"“, Stand: 09/2014. Online unter: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/145-003l_S3_LONTS-abgelaufen_2015-01.pdf. Letzter Zugriff: 03.12.2019.
[3] Bawor M et al. Testosterone suppression in opioid users: A systematic review and meta-analysis. Drug Alcohol Depend 2015;149:1-9.
[4] Coluzzi F et al. Testosterone deficiency in non-cancer opioid-treated patients. J Endocrinol Invest 2018;41(12):1377-88.
[5] Dohle GR et al. Guidelines on male hypogonadism. European Association of Urology 2018. Online unter: uroweb.org/male-hypogonadism. Letzter Zugriff: 03.12.2019.
[6] Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. Online unter: https://www.presseportal.de/pm/112743/4326175. Letzter Zugriff: 01.11.2019.
[7] Deutsche Schmerzliga e.V. Schmerztherapie. Online unter: https://schmerzliga.de/schmerztherapie/. Letzter Zugriff: 01.11.2019.
[8] Deutsche Schmerzliga e.V. Was ist Schmerz? Online unter: https://schmerzliga.de/was-ist-schmerz/. Letzter Zugriff: 01.11.2019.