Gynäkologie, Hormonelle Kontrazeptiva

Kontrazeption in Risikosituationen – Teil 2 von 3: Höheres Alter, Perimenopause und Rauchen

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Lesen Sie jetzt in Teil 2, wie gerade ältere Patientinnen und Raucherinnen von der Verordnung einer Gestagenmonopille profitieren können.

Veröffentlicht am 02.06.2021

Mit zunehmendem Alter nimmt die Fruchtbarkeit bei Frauen ab. Die Wahrscheinlichkeit, bei regelmäßigem und ungeschütztem Geschlechtsverkehr schwanger zu werden, liegt für Frauen zwischen 40 und 44 Jahren bei ungefähr 30% und sinkt von 45 bis 49 Jahre auf 10% ab. [1] Die Perimenopause beginnt bei nordeuropäischen Frauen durchschnittlich mit zirka 46 Jahren und dauert in der Regel um die fünf Jahre an. [1] Eine Schwangerschaft tritt in diesem Alter aber oftmals unerwartet oder auch unerwünscht ein, was zu einer relevanten Anzahl von Schwangerschaftsabbrüchen in dieser Altersgruppe führt. [2] In eben diesem Lebensabschnitt nimmt aber auch die Komorbidität von Frauen (z. B. kardiovaskulär oder onkologisch) in der Regel zu. Daher ist eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung der Kontrazeption besonders wichtig – auch und besonders wenn die Frauen zusätzlich rauchen. Deshalb stellt die Kontrazeptionsberatung von Patientinnen höheren Alters (hier gemeint: ab etwa Mitte 40), von Frauen in der Perimenopause und bei Raucherinnen für den Gynäkologen in der Praxis eine Herausforderung dar. Orale Gestagenmonopräparate bzw. sogenannte POP (progestin-only pills, mit z. B. 75 µg Desogestrel, kurz „Desogestrel-Pille“) können für diese Patientinnen-Klientel eine wertvolle Option darstellen.

Frauen in der Perimenopause sind um ein Vielfaches häufiger von thromboembolischen, kardio- und zerebrovaskulären Erkrankungen betroffen als jüngere Frauen. So ist die Inzidenz, ein kardiovaskuläres Ereignis zu erleiden, bei Frauen zwischen 40 und 44 Jahren 7-mal höher als in der Altersgruppe der 20- bis 24-Jährigen. Ähnliches trifft auch auf die Mortalität und das Vorkommen zerebrovaskulärer Ereignisse zu. [1] Eine besondere Rolle spielen dabei venöse Thromboembolien (VTE). Das VTE-Risiko steigt unabhängig von weiteren Faktoren mit jeder Lebensdekade an, zum Teil exponentiell. [3,4]. Dieses Risiko erhöht sich zusätzlich durch die Anwendung eines kombinierten hormonellen Kontrazeptivums (KHK) – und zwar unabhängig vom Applikationsweg (oral, transdermal, intravaginal). Der Grund: verantwortlich ist das in KHK enthaltene Östrogen. [5,6,7] Deshalb sollten Frauen spätestens ab einem Alter von 50 Jahren möglichst auf östrogenfreie oder nicht hormonelle Optionen wechseln und die Anwendung von KHK, am verbreitetsten sind kombinierte orale Kontrazeptiva (KOK), beenden. [8]

POP als wertvolle Option im Alter

Bei Frauen über 35 Jahren ohne weitere Risikofaktoren stellt das Alter per se keine Kontraindikation für KOK dar. [9] Kommen allerdings in diesem Alter zusätzliche Risikofaktoren wie z. B. eine Hypertonie oder familiäre thromboembolische Erkrankungen hinzu, ist das VTE-Risiko kritischer einzuschätzen, weshalb auf Alternativen wie Gestagenmonopräparate oder hormonfreie Verhütungsmethoden ausgewichen werden sollte. [10] Eine zuverlässige Ovulationshemmung ist dabei allerdings nur bei Gestagenen mittlerer und hoher Dosierung gegeben – und zu den Präparaten mit mittlerer Dosis zählt z. B. die östrogenfreie Pille (POP) mit 75 μg Desogestrel. Diese hat keinen Einfluss auf kardiovaskuläre Risikofaktoren oder die Knochendichte. [1,11] POP werden durchgängig ohne Pause eingenommen, und im Idealfall kommt es dabei zur vollständigen Amenorrhoe, was von zahlreichen Frauen zusätzlich als positiv bewertet wird. In den ersten Monaten der Einnahme kann es dabei jedoch auch vermehrt zu Zwischenblutungen kommen – hierüber sollte man als Arzt die Anwenderinnen vorab informieren. Für reine Gestagenpräparate sieht die FSRH (Faculty of Sexual & Reproductive Healthcare des Royal College of the Obstetricians and Gynaecologists (UK)) generell nur wenige Anwendungsbeschränkungen. [11] Für nahezu alle Patientinnencharakteristika nennt die FSRH eine Verhütung mit POP als Klasse-1-Empfehlung (Zustand, bei dem es keinerlei Restriktionen in der Anwendung der Methode gibt): z. B. Alter > 45 Jahre, aktive Raucherin, Rauchen in der Anamnese oder Adipositas. [12]

Zusätzlicher Risikofaktor „Rauchen“

Die aktuelle S3-Leitlinie zur hormonellen Empfängnisverhütung stuft die Relevanz des Rauchens für das VTE-Risiko bei gleichzeitiger Anwendung von KOK je nach Art des Kontrazeptivums und in Abhängigkeit von der Anzahl gerauchter Zigaretten pro Tag als gering bis mittel ein. [9] In diesen Fällen wird eine ausführliche Risikoberatung empfohlen, bei der Raucherinnen darauf hingewiesen werden sollten, möglichst auf KOK zu verzichten, insbesondere ab einem Alter über 35 Jahren und/oder bei Konsum von mehr als 15 Zigaretten pro Tag. [9] Wenn mindestens zwei der drei Faktoren „Rauchen“, „Alter > 35 Jahre“ und „BMI > 35 kg/m2“ vorliegen, steigt das Risiko zusätzlich und KOK werden ebenfalls nicht empfohlen. [9] Eine Gestagenmonotherapie kann hingegen von Raucherinnen laut WHO unabhängig vom Alter ohne Einschränkungen angewendet werden. [13] Und auch die Vereinigung US-amerikanischer Hausärzte empfiehlt für rauchende Frauen und Frauen über 35 Jahre unter anderem Gestagenmonopräparate. [14]

Fazit

  • Mit zunehmendem Alter nimmt bei Frauen nicht nur die Fruchtbarkeit ab, es erhöht sich zugleich das generelle Komorbiditätsrisiko, weshalb in diesen Fällen eine besondere Beachtung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses bei der Verordnung von Kontrazeptiva notwendig ist. [1,3,4]
  • Insbesondere das VTE-Risiko muss dabei beachtet werden, vor allem bei Raucherinnen – hier sind KOK häufig kontraindiziert. [8,9]
  • Auch wenn das Alter per se keine KOK-Kontraindikation darstellt, können Gestagenmonopräparate gerade bei zusätzlichen, altersbedingten Risikofaktoren eine gute kontrazeptive Option darstellen (z. B. Desogestrel-Pille). [1,8,9,10]
  • Rauchen stellt in Verbindung mit KHK einen zusätzlichen Risikofaktor dar. [9,13,14]
    Gestagenmonopräparate werden von zahlreichen Leitlinien und Veröffentlichungen für Raucherinnen und Frauen mit Raucheranamnese als geeignete Option genannt. [9,12,13,14]

Referenzen

[1] Steffen K et al. Kontrazeption in der Perimenopause. Gynäkologe 2017; 50: 612-620
[2] Destatis, Statistisches Bundesamt. Anzahl der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland nach Alter und Quote. www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Schwangerschaftsabbrueche/Tabellen/01-schwangerschaftsabbr-alter-quote-10tsd-je-altersgruppe_zvab2012.html. Letzter Zugriff: 19.04.2021
[3] Silverstein MD et al. Trends in the incidence of deep vein thrombosis and pulmonary embolism: a 25-year population-based study. Arch Intern Med 1998; 158: 585-593
[4] Heit JA et al. The epidemiology of venous thromboembolism. J Thromb Thrombolysis 2016; 41: 3-14
[5] Cochrane RA et al. Contraception in obese older women. Maturitas 2012; 71: 240-247
[6] Linton A et al. Contraception for the perimenopausal woman. Climacteric 2016; 19: 526-534
[7] Bassuk SS, Manson JE. Oral contraceptives and menopausal hormone therapy: relative and attributable risks of cardiovascular disease, cancer and other health outcomes. Ann Epidemiol 2015; 25: 193-200
[8] FSRH Guideline. Contraception for Women Aged Over 40 Years. Stand: August 2017, amended September 2019. www.fsrh.org/standards-and-guidance/documents/fsrh-guidance-contraception-for-women-aged-over-40-years-2017/. Letzter Zugriff: 19.04.2021
[9] S3-Leitlinie Hormonelle Empfängnisverhütung. AWMF-Registernummer: 015-015. Stand: September 2020. Version: 1.2. www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/015-015l_S3_Hormonelle_Empfaengnisverhuetung_2020-09.pdf. Letzter Zugriff: 19.04.2021
[10] Römer T. Kontrazeption bei Patientinnen mit Risikokonstellation. Dtsch Arztebl Int 2019; 116: 764-74
[11] Faculty of Sexual & Reproductive Healthcare (FSRH) – Clinical Guideline. Progestogen-only Pills. March 2015 (Amended April 2019). www.fsrh.org/standards-and-guidance/documents/cec-ceu-guidance-pop-mar-2015/. Letzter Zugriff: 19.04.2021
[12] UK Medical Eligibility Criteria for Contraceptive Use, UKMEC 2016. ukmec.pagelizard.com/2016. Letzter Zugriff: 19.04.2021
[13] WHO: Medical eligibility criteria for contraceptive use. 5th ed, Geneva, WHO, 2015. www.who.int/reproductivehealth/publications/family_planning/Ex-Summ-MEC-5/en/. Letzter Zugriff: 19.04.2021
[14] Bonnema RA et al. Contraception choices in women with underlying medical conditions. Am Fam Physician 2010; 82(6): 621-8