Originalbeitrag erschienen bei andrologen.info | andro.topics
Hintergrund
Die numerische Chromosomenaberration (Aneuploidie, 47,XXY) beim Klinefelter-Syndrom (KS) macht sich bei Adoleszenten und Männern üblicherweise durch eine große Statur, Gynäkomastie, kleine feste Hoden, hypergonadotropen (primären) Hypogonadismus und Infertilität bemerkbar. Bezeichnenderweise können aber auch Auffälligkeiten bei der Neuroentwicklung, der Kognition und im Sozialverhalten auftreten. Die Anomalitäten der Neuroentwicklung sind nach gängiger Meinung teilweise auf Androgenmangel während der pränatalen, frühkindlichen und pubertären Entwicklung zurückzuführen. Bislang haben nur wenige Studien Erkenntnisse zur Androgensupplementierung bei Kleinkindern und präpubertäre Jungen geliefert (Flanning R, et al., 2018).
Zielsetzung
Aktuell wurde mit quantitativer Magnetresonanztomographie (MRT) die Hypothese überprüft, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Testosteronspiegel und dem Volumen des Hippocampus besteht, so dass Jungen mit Klinefelter Syndrom, die eine Androgenbehandlung erfahren, ein größeres Volumen des Hippocampus aufweisen sollten als Jungen nach Placebogabe. In Anbetracht der Rolle dieser Hirnregion für das räumliche Gedächtnis wurde in Sekundäranalysen untersucht, ob mit der Androgenbehandlung in Verbindung stehende Veränderungen des Hippocampusvolumens das Ergebnis bei einem Test des räumlichen Gedächtnisses beeinflussen (Foland-Ross LC, et al. 2019).
Ausgangslage
Review Flanning R, et al. (2018)
Bei Klinefelter-Patienten wurde der Benefit einer Testosteronsupplementierung bislang am verbreitetsten bei postpubertären Jugendlichen und erwachsenen Männern untersucht. Im Mittelpunkt standen dabei eine verbesserte Lebensqualität sowie die Vermeidung metabolischer Konsequenzen und des Verlusts an Knochenmineraldichte. Erst in jüngerer Zeit besteht die Möglichkeit, KS-Betroffene beschränkt öfter bereits in der frühen Kindheit behandeln zu können, da mit zunehmendem Alter der Erstgebärenden heute die Pränataldiagnostik häufiger in Anspruch genommen wird.
Ein kürzlich publizierter Review (Flannigan et al., 2018) beschränkte sich auf 3 retrospektive Artikel und 2 randomisierte kontrollierte Prüfungen, in denen eine frühe Androgentherapie bei Jungen mit KS durchgeführt worden war.
Zur Testosteronsubstitution im Kindesalter wurden Testosteronenantat und Testosteron-Gel verwendet. Bei den sehr jungen Patienten bevorzugen einige Untersucher allerdings das oral zu verabreichende synthetische Testosteronanalogon Oxandrolon.
Bei bis dato mäßiger Datenlage zur Androgensupplementierung im Kindesalter, waren dennoch Verbesserungen bei verschiedenen Aspekten der sozial-kognitiven Fähigkeiten anhand validierter Fragebögen erkennbar. Sie lassen Entwicklungsfortschritte beim Sprechen, der Ausdrucksweise, dem Lesen, den geistige Fähigkeiten, dem Betragen und dem Sozialverhalten erkennen.
Neurobildgebungsstudie
Foland-Ross LC, et al. (2019)
Die teilnehmenden Jungen der aktuellen MRT-Bildgebungsstudie wurden auf nicht sedierte MRT anhand von Scan-Simulationen vorbereitet. Mit den geeigneten Klinefelter-Patienten wurden eine Behandlungsgruppe (n=10) und eine Placebo-Gruppe (n=13) gebildet. Sie erhielten 24 Monate entweder Oxandrolon (0,06 mg/kg/Tag) oder Placebo. Ihnen wurde eine Kontrollgruppe (n=12) mit Jungen ohne KS gegenübergestellt.
Die Jungen der Behandlungsgruppe entwickelten in dem zweijährigen Studienzeitraum ein signifikant größeres Hippocampusvolumen als die unbehandelten KS-Patienten (Abb.).
In Sekundäranalysen wurde ein positiver Zusammenhang zwischen der hippocampalen Volumenzunahme und der Leistung bei einer Aufgabe für das räumliche Gedächtnis festgestellt. Die KS-Subgruppen übergreifend bestand ein signifikanter Zusammenhang zwischen Hippocampusvolumen und den Subtest-Scores beim DAS (Differential Ability Scales)-Wiedererkennen von Mustern (p=0,007). Diese Effekte erwiesen sich in der Behandlungsgruppe bei vergleichenden Analysen als Korrelat des linken Hippocampusvolumens.