Gynäkologie, Hormonersatztherapie

Hormonersatztherapie bei gynäkologischen Malignomen und in der Therapie der Prämaturen Ovarialinsuffizienz (POI)

Start News: Hormonitor Hormonersatztherapie bei gynäkologischen Malignomen und in der Therapie der Prämaturen Ovarialinsuffizienz (POI)

Vom 8. bis 11. Mai 2024 fand in Florenz der 21. World Congress of Gynecological Endocrinology (ISGE) statt. Frau Dr. med. univ. Helena Bralo. M.Sc., Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe mit Schwerpunktausbildung „Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin“ am LMU Klinikum in München, war vor Ort und berichtet hier über zwei ihrer persönlichen Highlights des Kongresses.

Veröffentlicht am 01.07.2024

Hormonersatztherapie (HRT) bei gynäkologischen Malignomen

Bericht vom ISGE-Kongress 2024, Dr. med. univ. Helena Bralo. M.Sc.

Der medizinische Fortschritt bei der Früherkennung und Behandlung gynäkologischer Malignome hat das Überleben der Patientinnen signifikant verbessert. Allerdings gehen diese Fortschritte oft mit einer Vielzahl behandlungsbedingter Nebenwirkungen einher, die sich negativ auf die Gesundheit und Lebensqualität der betroffenen Frauen auswirken können. Ein besonderes Patientenkollektiv scheinen hier Frauen mit iatrogener vorzeitiger Menopause darzustellen. Der vorzeitige Estrogenmangel führt zu einem erhöhten kardiovaskulären Risiko mit gesteigerter Mortalität sowie einem erhöhten Osteoporose- und Demenzrisiko.

Herr Luciano de Melo Pompei aus Brasilien hat in seinem Vortrag „Is it allowed to use HRT after gynecologic cancer“ die wichtigsten Aspekte bei der Verschreibung einer HRT nach hormonabhängigen gynäkologischen Malignomen zusammengefasst. Mit Bezug auf die WHI-Studie stellt Pompei fest: „Die Fehlinterpretation der Ergebnisse hat zu irrationalen Ängsten geführt und der Annahme, dass die Vermeidung einer HRT zu keinen gesundheitlichen Risiken führt.“ Allerdings müsse auch die Ablehnung einer HRT evidenzbasiert erfolgen und nicht nur die Entscheidung dafür. Hierbei gilt es neben dem akuten auch den präventiven Effekt einer HRT zu beachten, wenn sie korrekt angewendet wird. Im vorgestellten narrativen Review von Villa P. et al. 2024 und Kollegen wurde diskutiert, wann eine HRT nach gynäkologischen Malignomen (Endometriumkarzinom, Adenokarzinom der Zervix, Ovarialkarzinom) verschrieben werden kann.

Aktuelle Empfehlungen zu einer HRT nach hormonabhängigen gynäkologischen Malignomen können der Abbildung 1 entnommen werden (1).

Endometriumkarzinom

Eine HRT kann nach Abschluss der onkologischen Therapie bei low-risk und early-stage Endometriumkarzinomen erwogen werden. Aufgrund ungenügender Datenlage ist bei high-risk und advanced-stage Endometriumkarzinomen eine HRT nicht zu empfehlen.

Uterussarkom

Aufgrund einer potenziellen Hormonabhängigkeit ist eine HRT bei Uterussarkomen nicht zu empfehlen.

Ovarialkarzinom

  • Eine HRT kann nach Abschluss der onkologischen Therapie bei Patientinnen mit Ovarialkarzinom im Frühstadium, Grad I–II, erwogen werden.
  • Eine HRT wird bei low-grade serösem Ovarialkarzinom und Granulosazelltumor nicht empfohlen.
  • Bei Anwendung einer HRT bei serösem Borderline-Tumor und endometrioiden Ovarialkarzinom ist Vorsicht geboten.

Adenokarzinom der Zervix

Eine HRT kann nach Abschluss der onkologischen Therapie bei early-stage Adenokarzinom der Zervix angeboten werden.
 

 

Fazit

  • Frauen sollten laut Pompei immer in ihrer Gesamtheit und all ihrer Beschwerden beachtet werden, ohne den Fokus allein auf eine Erkrankung zu legen. Dies gilt insbesondere auch bei iatrogen verursachten postmenopausalen Beschwerden im Zusammenhang mit gynäkologischen Krebserkrankungen.
  • Nach Ausschöpfung nicht-hormoneller Möglichkeiten können betroffene Frauen unter Einbezug des Onkologen individuell über Vor- und Nachteile der hormonellen Therapieoptionen aufgeklärt werden und diese kann nach Abschluss der adjuvanten Therapie in den genannten Fällen eingeleitet werden.  

Die aktualisierten ESHRE POI-Guidelines 2024

Bericht vom ISGE-Kongress 2024, Dr. med. univ. Helena Bralo. M.Sc.

Die aktualisierten ESHRE POI Guidelines bieten einen Leitfaden für Ärztinnen und Ärzte, um Frauen mit Prämaturer Ovarialinsuffizienz (POI) optimal zu versorgen. Diese werden in Zusammenarbeit mit den Expertinnen und Experten der European Society for Human Reproduction an Embryology (ESHRE), der American Society for Reproductive Medicine (ASRM), der International Menopause Society (IMS) und dem Center for Research Excellence in Woman’s Health in Reproductive Life (CRE WHiRL) erstellt.

Das Update umfasst 40 Fragen zu Themen wie: Diagnose von POI, Kurz- und Langzeitfolgen, kardiovaskuläre und Knochengesundheit, kognitive Funktion, psychosoziale und sexuelle Gesundheit sowie das allgemeine Wohlbefinden. Verschiedene Behandlungsmöglichkeiten, einschließlich der HRT, werden diskutiert. 

Herr Prof. Nick Panay aus Großbritannien betonte in seinem Vortrag „Updated ESHRE POI guidelines – what’s new?“  die Bedeutung einer frühzeitigen Diagnosestellung und des adäquaten multidisziplinären Managements für Frauen mit POI, um ihre Lebensqualität zu verbessern und mögliche Kurz- und Langzeitfolgen zu vermeiden. In seinem Vortrag hat er die wichtigsten Aspekte der Diagnostik und Therapie zusammengefasst sowie Neuerungen in den ESHRE POI Guidelines angekündigt (2).

Die POI bezeichnet das vorzeitige Erlöschen der ovariellen Funktion vor dem 40. Lebensjahr und ist charakterisiert durch einen hypergonadotropen Hypogonadismus (Hypoöstrogenismus). Laut der aktuellen Literatur liegt die Prävalenz bis zu 3,5 % und damit höher als bisher angenommen. Die Prävalenz der POI scheint in den Entwicklungsländern sowie bei bestimmter Ethnizität höher zu sein. Ein verkürzter Menstruationszyklus von < 25 Tagen und eine familiäre Disposition sind mit einem höheren Risiko einer POI assoziiert.

Der Estrogenmangel hat negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Frauen und kann einen Einfluss auf Kognition, kardiovaskuläres System, Knochengesundheit, Fertilität, psychosoziale Gesundheit und Sexualität haben. Eine kürzlich publizierte Studie von Roca et al. in JAMA (3) konnte zeigen, dass Frauen, nach bilateraler Oophorektomie, ein erhöhtes Parkinson-Risiko aufweisen. Das Risiko war signifikant höher, je jünger die Frauen zum Zeitpunkt der Oophorektomie waren (≥ 50 Jahre: HR 1,43 [95 %-KI: 0,50–4,15]; 46–49 Jahre: HR 1,55 [95 %-KI: 0,79–3,07]; 40–45 Jahre: HR 1,36 [95 % KI: 0,64–2,89]; < 40 Jahre: HR 8,82 [95 % KI: 1,08–72,00]). Des Weiteren haben Frauen mit unbehandelter POI ein erhöhtes Osteoporose- und Demenzrisiko (4,5).

In einer 2019 veröffentlichten Meta-Analyse von Zhu et al. (6) aus 15 Beobachtungsstudien mit 301.438 Frauen in fünf Ländern konnte gezeigt werden, dass unbehandelte Frauen mit POI ein signifikant höheres Risiko (HR 1,55; 95 %-KI: 1,38–1,73; p < 0,0001) für Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben im Vergleich zu Frauen, die im Alter von 50–51 Jahren in die Menopause kommen. Multiple Studien deuten in diesem Zusammenhang auf eine erhöhte Mortalität bei unbehandelten POI-Frauen hin. So ergab die Shanghai Women’s Health Study (7) mit 1.003 POI-Fällen ein erhöhtes Mortalitätsrisiko von 1,29 (95 %-KI: 1,08–1,54). Die Hormonersatztherapie (HRT) führt zu einer signifikanten Risikoreduktion für kardiovaskuläre Erkrankungen und Osteoporose. 

Eine frühzeitige, konsequent und adäquat dosierte HRT stellt eine unverzichtbare Intervention dar, die zumindest bis zum Erreichen des natürlichen Menopausenalters durchgeführt werden sollte, in einigen Fällen lebenslang.  

Aktualisierung der ESHRE POI-Guidelines in Kürze zusammengefasst (Entwurf in Bearbeitung)

  • Die Terminologie „Premature ovarian insufficiency“ (POI) soll primär verwendet werden und ersetzt somit die Begriffe wie: premature ovarian failure, premature menopause oder primary ovarian insufficiency.
  • Die Diagnosestellung erfolgt symptomorientiert und anhand des gemessenen FSH-Spiegels (ESHRE > 25 IU).
  • Bei einer ausgeprägten FSH-Erhöhung mit entsprechender Symptomatik kann ggf. auf die wiederholte FSH-Messung nach 4 Wochen verzichtet werden.
  • Die Ethnizität soll als Risikofaktor erfasst werden.
  • Die kardiovaskuläre Gesundheit sowie Knochengesundheit sollten sorgfältig im Auge behalten werden und eine Knochendichtemessung bei Diagnosestellung erfolgen.
  • Eine Hormonersatztherapie (HRT) sollte frühzeitig begonnen werden.
  • Die HRT sollte adäquat dosiert werden (17β-Estradiol: 2 – 4 mg/d oral oder transdermal 75 – 100 µg/d). 
  • Eine Testosterontherapie kann bei gestörter Libido nach psychosexueller Exploration erwogen werden.
  • Die psychosoziale und sexuelle Gesundheit müssen mitberücksichtigt werden und eine psychologische Unterstützung sollte frühzeitig angeboten werden.
  • Eine multidisziplinäre Betreuung ist anzustreben. 

Die aktualisierten ESHRE POI Guidelines 2024 werden bei der diesjährigen ESHRE-Tagung in Amsterdam final vorgestellt; der Entwurf in Bearbeitung kann unter folgendem Link bereits jetzt abgerufen werden: www.eshre.eu/Guidelines-and-Legal/Guidelines/Guidelines-in-development (2).

Quellen

(1) Villa P et al. Hormone Replacement Therapy in Post-Menopause Hormone-Dependent Gynecological Cancer Patients: A Narrative Review. J Clin Med. 2024; 13(5):1443. 
(2) Updated ESHRE POI guidelines. Entwurf in Bearbeitung online aufrufbar unter: www.eshre.eu/Guidelines-and-Legal/Guidelines/Guidelines-in-development. Letzter Zugriff: 12.06.2024.
(3) Rocca WA et al. Association of Premenopausal Bilateral Oophorectomy With Parkinsonism and Parkinson Disease. JAMA Netw Open. 2022; 5(10):e2238663.
(4) Bove R et al. Age at surgical menopause influences cognitive decline and Alzheimer pathology in older women. Neurology. 2014; 82(3):222-9.
(5) Popat VB et al. Bone mineral density in estrogen-deficient young women. J Clin Endocrinol Metab. 2009; 94(7):2277-83. 
(6) Zhu D et al. Age at natural menopause and risk of incident cardiovascular disease: a pooled analysis of individual patient data. Lancet Public Health 2019; 4: e553–e564. 
(7) Wu X et al. Impact of premature ovarian failure on mortality and morbidity among Chinese women. PLoS One 2014; 9(3): e89597.